"Unser Spiel hat zur Zeit noch mehr Tiefen als Höhen"

MITTWOCH, 20 OKTOBER 2004, 12:56 - RSCA Skater
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Routinier Pär Zetterberg (34) vor dem Champions-League-Duell mit Werder Bremen zur aktuellen Situation beim RSC Anderlecht. Hier ein exklusives Interview mit dem 34-jährigen Mittelfeldspielers.


Pär Zetterberg ist mit Abstand der international erfahrenste Spieler des RSC Anderlecht. Heute Abend (20.45 Uhr) im Champions-League-Duell gegen den deutschen Meister und Pokalsieger Werder Bremen bestreitet der schwedische Mittelfeldregisseur, der am vergangenen Donnerstag 34 Jahre alt wurde, seinen 67.

Wie wichtig der 30-fache Nationalspieler immer noch für den belgischen Rekordmeister ist, bewies er am vergangenen Freitag mit dem Siegtor zum 0:1 im Hauptstadtderby beim FC Brussels. »Auch gegen Bremen muss unbedingt ein Sieg her, wenn wir uns noch Hoffnungen auf den dritten Gruppenplatz machen wollen«, betonte Zetterberg in einem Gespräch mit der ostbelgischen Zeitung Grenz-Echo.

Nach dem 1:3 gegen Inter Mailand machten Sie einen sehr niedergeschlagenen Eindruck bezüglich der Chancen des RSC Anderlecht in der Champions League. Hat sich Ihre Gemütslage seither verbessert?

In der Champions League muss man im Prinzip seine Heimspiele gewinnen. Das ist uns gegen Inter nicht gelungen. Doch jetzt wissen wir, was uns zu tun bleibt: Die beiden verbleibenden Heimspiele gegen Werder Bremen und den FC Valencia und möglichst auch einmal auswärts gewinnen.

Schätzen Sie Werder Bremen ähnlich stark ein wie Inter Mailand und den FC Valencia?

In punkto individuelle Qualität ragt Inter Mailand zweifellos heraus, während die Stärken des FC Valencia eher im mannschaftlichen Bereich angesiedelt sind. Bremen scheint mir eine Mischung von beiden zu sein. Dass sie deutscher Meister geworden sind, sagt eigentlich genug über die Qualitäten dieser Mannschaft aus, doch in unserer aktuellen Situation haben wir eigentlich nichts mehr zu verlieren.

Vor der Saison vertrat man allgemein die Ansicht, dass der RSC Anderlecht in diesem Jahr international konkurrenzfähiger sein müsse. Ein Trugschluss?

Es stimmt, dass wir gegenüber dem Vorjahr keine absoluten Leistungsträger verloren und mit Mbo Mpenza und Fabrice Ehret zwei starke Spieler hinzugewonnen haben. Allerdings braucht es seine Zeit, die neuen Leute zu integrieren. Leider kommt man nicht umhin festzustellen, dass wir bisher mehr Tiefen als Höhen gezeigt haben. Einem guten Spiel folgten meist zwei oder drei schlechte.

Hat Vereinspräsident Roger Van den Stock vielleicht etwas zu hoch gegriffen, als er im Sommer das Erreichen des Champions-League-Achtelfinales als eines der Saisonziele ausgab?

Nein, man muss sich große Ziele setzen, wenn man etwas erreichen möchte, auch wenn man von vorneherein weiß, das sie nicht leicht zu verwirklichen sind. Realistisch betrachtet können wir aber auch zufrieden sein, wenn wir den dritten Gruppenplatz erreichen.

Woran liegt es, dass wichtige Spieler wie Peersman, Van den Borre, Baseggio oder Aruna nicht das nötige Selbstvertrauen ausstrahlen?

Wenn die Leistung nicht stimmt, leidet das Selbstvertrauen und wenn kein Selbstvertrauen da ist, kann die Leistung nicht stimmen. Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir gemeinsam so schnell wie möglich ausbrechen müssen. Wir müssen uns nur bewusst werden, dass noch nichts verloren ist. In der Meisterschaft sind wir Zweiter und auch in der Champions League ist noch alles möglich. Allerdings wird es höchste Zeit, dass wir einige überzeugende Leistungen hintereinander abliefern.

Hat das Wechseltheater um Aruna Dindane die Mannschaft beeinflusst?

Nein, das war eine Geschichte, die vor allem von den Medien in die Mannschaft hinein getragen wurde. Mit Aruna selbst hatten wir nie ein Problem.

Jahrelang musste der RSC Anderlecht mit dem Vorwurf leben, keine Jugendspieler in die 1. Mannschaft zu integrieren. Jetzt ist genau das Gegenteil der Fall. Wurde die Verjüngung nicht etwas forciert?

Das Alter eines Spielers hat für mich keine Bedeutung, wenn die Leistung stimmt. Die Besten sollen spielen. Für die jungen Spieler gibt es keine bessere Schule als die Champions League. Sicherlich werden sie noch die einen oder anderen Fehler machen, doch es ist besser, früh zu lernen als nie. Für die Zukunft des Vereins kann es nur positiv sein, wenn Jungtalente den Durchbruch in der 1. Mannschaft schaffen.

In einem Zeitungsinterview beklagten Sie vor einigen Tagen, dass die Jugendlichen von heute nicht mehr den Respekt und die Demut mitbringen, die Ihnen als jungem Spieler abverlangt wurden.

Das trifft in der Tat zu, ist aber kein fußballspezifisches, sondern ein gesamt-gesellschaftliches Problem. Man hört auch aus den Schulen, dass die Schüler den Lehrern widersprechen, was in meiner Jugendzeit undenkbar gewesen wäre. Als erfahrener Spieler versuche ich, streng mit den jungen Leuten umzugehen, weil ich das selbst in meiner Jugendzeit als gute Schule empfunden habe. Allerdings muss man mit der Zeit gehen und kann die jungen Leute nicht mehr so zusammen stauchen, wie das in meinen Lehrjahren beim RSC Anderlecht der Fall war, weil dies unweigerlich zu Konfliktsituationen führen würde.

Was halten Sie davon, dass ausgerechnet der vom Platz gestellte Kapitän Bart Goor nach dem Länderspiel in Spanien Vincent Kompany öffentlich kritisierte?

Dafür kann man kein Verständnis haben. Wenn es ein Problem zwischen zwei Spielern gibt, muss man das unter vier Augen oder im Mannschaftskreis regeln. Ich vermag auch nicht zu beurteilen, ob die Kritik an Kompany berechtigt war oder nicht. Er ist ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, braucht aber noch die Unterstützung seiner Mitspieler, weil der öffentliche Druck, dem er als vielversprechendes Talent ausgeliefert ist, für einen jungen Mann von 18 Jahren nicht leicht zu verkraften ist.

Ist es nicht eine typisch belgische Unsitte, seine größten Talente in der Öffentlichkeit zu verheizen?

Es ist ein grundsätzliches Problem, dass ein Spieler nach zwei guten Spielen in den Himmel gelobt und nach zwei schlechten Spielen gleich wieder verdammt wird. Allerdings ist das kein rein belgisches Phänomen. Weltweit ist eine Tendenz zum Sensationsjournalismus festzustellen, der es auch jungen Fußballern schwer macht, sich normal zu entfalten.

Kommen wir abschließend nochmal zu Werder Bremen zurück: Wie haben Sie die bittere 5:3-Niederlage vom 8. Dezember 1993 in Erinnerung?

Mit einem zwiespältigen Gefühl. Die erste Stunde war vielleicht eine der besten Auswärtsleistungen in der Europapokalgeschichte des RSC Anderlecht, die letzte halbe Stunde dagegen wohl eine der schlechtesten. Es gibt einfach keine rationelle Erklärung, warum wir so eingebrochen sind und unseren 0:3-Vorsprung noch verspielt haben. Fakt ist nur, dass uns diese Niederlage den Verein international über Jahre zurück geworfen hat und nicht wenige Fans wohl noch bis heute verfolgt.

Hat die Stunde der Revanche geschlagen?

Ich weiß nicht, das ist sehr lange her. Persönlich brauche ich keine Revanchegelüste, um mich zu motivieren. Was mich interessiert ist ein Sieg über Bremen, sonst nichts.

Quelle: Grenz-Echo



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