
INTERVIEWS - ANDERE Anthony Vanden Borre steht kurz davor, einen besonderen Moment zu erleben: Mit La Louvière empfängt er heute Abend seine Jugendliebe Anderlecht. Der ehemalige Wunderknabe von Neerpede ist mittlerweile 38 Jahre alt und geht in seiner neuen Rolle auf, die sich um Menschlichkeit und Begleitung dreht. "Der Unterschied zwischen 'Fußball spielen' und 'Fußballer sein' war für mich viel zu groß", sagte er.
"Ihr kommt, weil viele denken, dass ich am Sonntag nervös sein werde", lachte er. "Aber so ist das gar nicht. Für mich ist es einfach ein schönes Spiel. Anderlecht lag mir immer schon sehr am Herzen, noch bevor ich Profi geworden bin. Meine Bindung zum Verein ist eine von Nachbarschaft, Freunden und Zuhause. Ich ging vom Training in Neerpede direkt zur Haustüre. Es fühlte sich für mich nie wie ein Privileg an, anders als für die Jungs, die dort ihren Traum verfolgen."
Dass er mit 17 nach Fiorentina wechselte, bleibt für ihn eine bedauerliche Entscheidung. "Das war selbstverständlich zu früh. Es war eine schwierige Zeit, gleich nach dem Tod meiner Mutter. Ich brauchte Stabilität, aber die fehlte mir. Deshalb fühlt sich das Spiel zwischen La Louvière und Anderlecht auch wie ein Duell innerhalb der Familie an. Man kann sich nicht wirklich entscheiden."
Eine mögliche Rückkehr? "Nur wenn Anderlecht wirklich wieder Anderlecht wird"
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Doch eine Rückkehr ist nicht so einfach. "Im modernen Fußball gibt es zu viele Machtspiele und dagegen habe ich eine Abneigung. Das überlasse ich lieber anderen."
Seine Vergangenheit beim Verein sorgte öfter für Spannungen. "Ich lebte instinktiv, manchmal auch im Widerspruch zu den taktischen Erwartungen. Ich habe Fehler gemacht, wie bei jenem Vorfall, als ich sagte, wir hätten 'zu viele Angsthasen' in der Kabine. In voller Krise traute ich mich, die Trainerbank anzusprechen, doch als Hasi mich aus dem A-Kader setzte, blieb jeder aus Angst vor seinem eigenen Platz still. Das hatte mir wehgetan."
Ein zweites Leben als Mentor
Heute hat Vanden Borre seinen Platz bei La Louvière gefunden und zwar in der Sozialabteilung Human Care & Development. "Ich begleite Jugendliche und zwar mit dem Menschen als Ausgangspunkt. Keine Predigten, aber Humor und Authentizität. Meine eigene chaotische Karriere ist meine beste Lernmethode."
Die Spieler necken ihn immer noch mit seinem Ausrutscher – buchstäblich – als er auf dem Ball stand. "Aber genau diesen Moment nutze ich als Warnung: Sorge dafür, dass du niemals in eine solche Situation gerätst. Diese Aktion löste eine Racheaktion eines Südkoreaners aus und eigentlich war das der Anfang vom Ende meiner Karriere."
Für ihn dreht sich alles um Realismus. "'Talent' sagt mir wenig. Ich höre lieber 'Potenzial‘. Selbst dann ist die Chance gering, wirklich den Durchbruch schaffen zu können. Aber man muss mit vollem Einsatz dabei sein. Und ein Scheitern ist kein Weltuntergang – das Leben endet nicht bei einem Rückschlag."
Seine größte Lektion geht jedoch in Richtung Schule. "Wenn ich mein Studium nicht aufgegeben hätte, wäre meine Laufbahn viel weniger stürmisch verlaufen. Die Fußballatmosphäre drängte mich Richtung 'nur der Ball zählt‘. Ohne Diplom bist du verwundbar und das haben viele Menschen ausgenutzt."
Vorausschau: "In sieben Monaten laufe ich wieder die 20 Km von Brüssel"
An einen Weggang denkt er nicht. "La Louvière fühlt sich wie eine Familie an. Es wäre extrem schwer für mich, RAAL zu verlassen."
Es wartet jedoch noch eine persönliche Herausforderung auf ihn. "Ich muss wieder in Form kommen und ein paar Kilo loswerden. In sieben Monaten möchte ich nämlich wieder die 20 km von Brüssel gemeinsam mit der Organisation "Tous à bord" laufen, die sich für Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung einsetzt. Zusammen drücken wir jemanden in einen Rollstuhl über die Strecke. So können auch sie teilnehmen."
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